Beiträge: 23881 Wörter pro Beitrag: 34 Wohnort: Way Down South
Verfasst am: 01.08.2011, 22:19
Lila, Du ziehst jetzt ja in die Hauptstadt und brauchst vielerlei Unterstützung, um Dich einzuleben und richtig zu etablieren. Ich mache Dir deswegen mal einen Orientierungsthread auf und fange damit an, dir ein paar Hinweise zu Deinem zukünftigen Kiez zu geben.
Kieze sind in Berlin sehr wichtig. Berlin spiegelt die föderale Bundesrepublik in seinen Bezirken wieder. Jeder Bezirk hat so etwas wie einen eigenen Ortskern mit eigenen Geschäften, manchmal einer Fußgängerzone, oft einem Springbrunnen und gelegentlich den unvermeidlichen Malls. Innerhalb der Bezirke gibt es dann wieder Kieze, das sind so 3-4 Straßenblöcke mit einer eigenen Sub-Subkultur und mindestens 3 Eckkneipen mit Molle und Korn oder Futschi bis 13:00 für 1 Eur.
Bis auf die Bewohner der absoluten Innenbezirke fährt der Berliner „in die Stadt“, wenn er sich in einen der inneren Bezirke begibt, die Spandauer sind eigentlich keine Berliner und dokumentieren das damit, dass sie „nach Berlin“ fahren, sobald sie Spandau verlassen.
Folgender Farbcode soll Dir dabei helfen, Dich mal grundsätzlich zurechtzufinden, wobei Du immer im Hinterkopf haben musst, dass nicht der (farblich markierte) Bezirk, sondern der Kiez das eigentlich ausschlaggebende Kriterium ist. Jule wohnte z.B. im Wedding und fand es gut da, obwohl es eigentlich ein Problembezirk ist. Ich habe auch nicht genau die Bezirksgrenzen markiert, denn das nördliche „kreuzberger“ Neukölln Höhe Herrmannplatz ist eigentlich gut zum Wohnen, ebenso wie der ganz südliche und südöstliche Wedding.
Rot sind die „inner Circle“ Partybezirke. 1.000 Kneipen überall, viel Szene und Künstler und so, aber z.T. auch extreme Gentrifizierung und Juppiezuzug. Das merkt man leider an den Mieten! Mitte selbst ist eher Geschäftsbezirk, sehr zentral, die Mitte eben, aber nicht wirklich sexy. Prenzelberg ist die Partymeile für die Touristen. So eine Art zentraleuropäische Kao San Road. Die Szene zieht gerade wieder da weg, weil die Preise steigen. Oder um es mit Rainald Grebe zu sagen: „Die Mieten hier sind bezahlbar, denn ich kann sie ja zahlen“. Friedrichshain ist die Partymeile für die Einheimischen, gefällt mir sehr gut. EinBaum sagt, dass da die gentrifizierung aber auch schon begonnen hat. Mein Favorit hier ist die Grenze zwischen Kreuzberg und Mitte. Südlich von der Museumsinsel. Friedlich, aber trotzdem ganz viel Infrastruktur. Alles in Fußnähe. Kreuzberg selbst finde ich nach wie vor sehr geil. Die Szene kehrt gerade wieder hierher zurück, weil die Mieten bezahlbar sind - Ich persönlich würde (wieder) nach Kreuzberg ziehen. Die Türken sind gut etabliert in der 3. Generation, tolle Kneipen. Kreuzberg unterteilt sich in 36 (mehr Szene) und 61 (etwas bürgerlicher).
Gelb sind die Problembezirke mit einer Tendenz zu abendlicher Straßenunterhaltung durch Messerstechereien. Dort ziehen gerne einmal marodierende Horden von Arabern (Neukölln) oder Glatzen (Marzahn) durch die Gegend. Da würde ich nicht hinziehen. Allerdings ist der nördliche Zipfel von Neukölln, den ich rot markiert habe, gerade dabei, in zu werden. Da kommt es jetzt sehr auf den richtigen Straßenzug an, wenn man da hinziehen will.
Hellblau sind die alten Westberliner Innenstadtbezirke, als noch die Mauer stand, ist die Szene in Kreuzberg gewesen und im hellblauen Bereich war das restliche Berlin unterwegs. Gutbürgerlich, Altbauwohnungen, Eckkneipen, Theater, Programmkinos, aber eben alles andere als „hip“. In Tiergarten sitzt die Regierung, entsprechend teuer kann es da sein. In Charlottenburg gibt es das KaDeWe, entsprechend wenige Parkplätze. Charlottenburg und Schöneberg sind die alte City, als noch die Mauer stand. Da gibt es tolle Altbauwohnungen, meist mit Alt-68ern bewohnt, die sich die Mieten da leisten können.
Zartrosa sind Wohnbezirke mit Infrastruktur. Relativ zentral, aber sterbenslangweilig. Ich bin zwar in Wilmersdorf geboren, würde da aber nicht wieder hinziehen. Im Musical „Linie 1“ gibt es ein schönes Lied über die Wilmersdorfer Witwen.
Hellgrün ist Pampa. Nada. Da kann man wohnen, aber ansonsten auch nicht viel. Speziell Reinickendorf und Pankow haben fast schon wieder dörfliche Infrastrukturen. Steglitz ist zum wohnen ganz OK, aber total nichtssagend. Tempelhof ist eher urban, so ein typischer lower middle class Wohnbezirk. Die nördliche Ecke von Tempelhof, der Zipfel zwischen Kreuzberg und Schöneberg ist allerdings ganz schön zum Wohnen.
Die FU liegt im hier dunkelgrün markierten Zehlendorf, genauer gesagt im sehr noblen Villenviertel Dahlem. Das ist ein sehr bürgerlich gutsituierter Bezirk, da wird immer CDU gewählt, dicke Autos, im Grunewald ist Holzauktion, Badeseen. Reiner Wohnbezirk. In Zehlendorf gibt's nahe der Uni auch Studentenwohnheime, die ganz OK sind. Waldelb hat da z.B. gewohnt. In der Nähe der FU gibt es keine echte Szene. Du musst also als erstes mal die Entscheidung treffen, ob Du einen kurzen Weg zur Uni haben willst und dafür Abends etwas länger unterwegs bist, oder ob Du in der Szene wohnen willst und dafür etwas früher aufstehst. Die Verkehrsmittel in Berlin sind klasse, Du kommst also immer gut von Überall nach Überall hin.
Dann gibt es noch Spandau. Tja, Spandau. Vermeide Spandau einfach, außer zu den Open Air Konzerten in der Zitadelle.
In die Ost-Berliner Randbezirke würde ich nicht gehen. Zu denen kann ich auch wenig sagen, da bin ich zu selten.
Das ist jetzt natürlich alles sehr sehr grob. Du wirst in jedem Bezirk, sei er auch noch so gelb markiert, sehr schöne Ecken finden. Orientiere Dich grob an den vielen Parks, Kanälen und Plätzen. Da wohnt es sich sehr schön. Ich habe bspw. Mal in Neukölln am Herrmannplatz gewohnt. Da zuckt erstmal jeder zusammen, aber das war direkt gegenüber vom Jahnpark, da würde ich jederzeit wieder hinziehen.
Meine Favoriten noch mal zusammengefasst: Kreuzberg, nördliches Neukölln, Friedrichshain, nördliches Tempelhof und Schöneberg. Viel Spaß beim Suchen!
Gepostet am 01.08.2011, 23:30:
Hier noch die Videos zu den Bezirken
Wilmersdorf:
Prenzlauer Berg:
Neukölln:
Kreuzberg:
Zehlendorf:
und das hier bildet ganz gut das Selbstverständnis des Berliners ab:
_________________ If you’re tired of arguing with strangers on the Internet, try talking with one of them in real life (B. Obama's Farewell address speech, 11.1.2017)
Die Wilmersdorfer Witwen! Den Film hab ich neulich wieder gesehen und gefeiert!
Am Freitag unterhielt ich mich mit einer Stylistin und sie hatte eine Brille für ein Model dabei, die ich gut fand. Sie meinte dann, die würde man ja häufig an so langen schlaksigen Hipstern sehen - so mit Karohemd und Karottenjeans "Berliner Stil eben" - das hat mich sehr traurig gemacht. Denn es stimmt. Berlin wird überrannt von zugezogenen Möchtegern-Hipstern. Im Strahl! Eingeborene erkennt man vor Ort tatsächlich meistens daran, dass ihnen scheißegal ist wie sie aussehen und nicht durch die Hornbrille auf die Spitzenstrumpfhose des Nachbars schielen.
Zu der Kiezbeschreibung kann ich kaum noch was hinzufügen. Schöneberg find ich teilweise echt wunderschön, aber das ist mehr so die Gegend für Medienbuden und gutbürgerliche schwule Pärchen.
Treptow ist ganz nett! Im Treptower Park kannste schnell direkt ans Wasser und bist trotzdem noch relativ schnell im Rest der inneren Bezirke. Lichtenberg find ich nicht akzeptabel, da zu weit weg und tot. Aber da haben sich viele meiner ehemaligen Mitschüler angesiedelt, die Mieten sind da halt noch ganz in Ordnung. Ist ein altes Stasi-Viertel. Beim Einkaufen wirste hier von den Rentner noch mal doppelt so gut beobachtet.
Hohen-Schönhausen ist ziemlich weit draußen und sehr ruhig. Wäre mir zu nah an Marzahn. Für Köpenick gilt das gleiche wie für Spandau.
Oh, und die Öffentlichen Verkehrsmittel haben deutlich nachgelassen. Aber weil es so viele davon in Berlin gibt, ist man trotzdem noch ziemlich schnell überall.
Zuletzt bearbeitet von Quar am 01.08.2011, 23:27, insgesamt einmal bearbeitet
Kreuzberg selbst finde ich nach wie vor sehr geil. Die Szene kehrt gerade wieder hierher zurück, weil die Mieten bezahlbar sind - Ich persönlich würde (wieder) nach Kreuzberg ziehen. Die Türken sind gut etabliert in der 3. Generation, tolle Kneipen. Kreuzberg unterteilt sich in 36 (mehr Szene) und 61 (etwas bürgerlicher).
*unterschreib*
Und die Wilmersdorfer Witwen sind großartig!
_________________ Der menschliche Körper enthält sechs Liter Blut: genug, um eine große Wohnung anzustreichen.
Ursi braucht also:
- Unbedingt und zu allererst einen alten Jutebeutel zum Einkaufen mit einem ironischen Motiv (btw: Ich habe letztens eine kultige RingCon 2003 Stofftasche wiedergefunden, die ich ab jetzt verwenden werde.)
- Röhrenjeans oder Karottenjeans oder Leggins
- Eine riesige Second-Hand Sonnenbrille
- Eine Wohnung im Norden Neuköllns (siehe auch Craggans Empfehlung)
- Und die Wohnung ist nur spärlich möbliert, aber mit einem Mac (Check!)
- Ein möglichst altes Gebrauchtfahrrad, was für viel Geld auf Ein-Gang-Schaltung verschlimmbessert wurde
- Zum Frühstück nur ein Lungenbrötchen
_________________ Actually, throughout my life, my two greatest assets have been mental stability and being, like, really smart.
Eingeborene erkennt man vor Ort tatsächlich meistens daran, dass ihnen scheißegal ist wie sie aussehen und nicht durch die Hornbrille auf die Spitzenstrumpfhose des Nachbars schielen.
yep. Und natürlich an der Schnauze! Beispiel:
Letzthin laufe ich die Oranienburger runter und weiter vor mir (außer Hörweite) stand ein sehr sehr blasses, schwarz gekleidetes Emo-Girlie. Ich zu meinem Kumpel: "Sonnenstudio würde der auch mal gut tun". Daraufhin tönt es vom Tisch des Cafés, an dem wir gerade vorbeiliefen laut vernehmbar "Fitnessstudio würde dem ooch ma juttun"
_________________ If you’re tired of arguing with strangers on the Internet, try talking with one of them in real life (B. Obama's Farewell address speech, 11.1.2017)
Der Norden von Neukölln klingt nach dieser Beschreibung tatsächlich wie der Norden von Favoriten und ist auch in Relation zu Wien gesehen ungefähr gleich gelegen. Des nehm ma!
Da war ich nur eine Woche in Berlin und kann doch alle Beschreibungen nachvollziehen und bestätigen.
Besonders der Norden von Neukölln! Da war ich kurz, um eine Freundin zu besuchen (hübsche junge Doktorantin, die einem über den Freien Willen ein Ohr ablabern kann). Die wohnt da in einer Mädchen-WG, trinkt Club Mate, und die Straßen drumherum sind schön renovierte deutsche Gutbürgerlichkeit mit arabischer Schrift. Alles hell, freundlich, schön, grün, ruhig. Aber halt Multikulti, es klingt verrucht, wenn man sagt „Ich wohne in Neukölln …“, und der Baubestand ist alt genug um cool zu sein. Voll hip und so.
_________________ Yeah, well, you know, that's just, like, your opinion, man.
Lichtenberg find ich nicht akzeptabel, da zu weit weg und tot. Aber da haben sich viele meiner ehemaligen Mitschüler angesiedelt, die Mieten sind da halt noch ganz in Ordnung. Ist ein altes Stasi-Viertel. Beim Einkaufen wirste hier von den Rentner noch mal doppelt so gut beobachtet.
Hohen-Schönhausen ist ziemlich weit draußen und sehr ruhig. Wäre mir zu nah an Marzahn. Für Köpenick gilt das gleiche wie für Spandau.
Oh, und die Öffentlichen Verkehrsmittel haben deutlich nachgelassen. Aber weil es so viele davon in Berlin gibt, ist man trotzdem noch ziemlich schnell überall.
Wat issn dit Problem, dit Hohenschönhausen zu nah an Marzahn liegt? Ick habe 25 Jahre in Hohenschöngrünkohl jewohnt und hatte nie Probleme. Es ist sehr ruhig, dafür schön grün. Zwischen den Neubauten is noch janz jut Luft, es jibt viele Kleinjartenanlajen un' das Altbauviertel, daher herrscht nich so eene erdrückende Atmosphäre wie in Marzahn oder Hellersdorf. Hohenschönhausen is außerdem verkehrmäßig jut erschlossen. Es verkehren hier die Straßenbahnen M4, M5, M17 un' irjendwo die 27. S-Bahn: S75. Wenn man also een wenig Zeit hat, kommt man jut in die Innenstadt.
Nun bin ick nach Lichtenberg jezogen. Ick finde Lichtenberg akzeptabel. Von was is it denn soweit weg? Eene U-Bahnstation mit der U5 und ick bin in Friedrichshain, weeßte? Vorteil is, ick habe ne schöne Wohnung, viel grün hier un' ick bin in 10 Minuten im "Partybezirk". Et ist schon anjenehmer, wenn it ein wenig "Tod" is, da hat man Nachts seene Ruhe.
Berlin hat übrijens dit jeilste öffentliche Verkehrsnetz der Welt.
War ja dies WE auch mal wieder in Berlin. Ich muss sagen, dass ich es immer wieder geil finde, auch wenn die Stadt eigentlich ziemlich scheiße ist. Aber was soll man machen. Ist eben ein "eigenes" Gefühl in Berlin. Und vielleicht ist es auch was anderes, wenn man dort nicht wohnt, sondern nur zum Saufen da ist
Aprospos: Ende September dann wieder
Gepostet am 02.08.2011, 13:13:
Mond
Berlin hat übrijens dit jeilste öffentliche Verkehrsnetz der Welt.
Jo, direkt nach Wien, Kolleeje!
_________________ Somit sage ich, nicht ich schreibe das, sondern mein Zeitgewissen.
Du solltest übrigens, liebe Lila, baldmöglichst einen Wohnberechtigungsschein beantragen. Der ist oft zwingende Voraussetzung für die Miete subventionierter Wohnungen wie z.B. dieser hier, aus der man eine chique 2-Personen WG machen könnte. Wohnungen wie die hier kriegt man aber auch ohne. Vorsichtshalber auf jeden Fall mal den Antrag losschicken!
_________________ If you’re tired of arguing with strangers on the Internet, try talking with one of them in real life (B. Obama's Farewell address speech, 11.1.2017)
Der Braintrust meiner Wiener Ghettokinder, sprich aller Leute, die in Favoriten wohnen oder gewohnt haben, hat übrigens beschlossen, dass ich nach Neukölln ziehen muss, weil ich mich da a) wie zuhause fühlen werde und ich b) meinen Street Credit erhalten kann.
Faktisch heißt das: Schau ma mal. *g* Momentan fühle ich mich ja noch leicht überfordert, aber das das wird schon alles und ich bin total aufgeregt und ich kann mich nur wiederholen: Danke danke euch allen und vor allem Craggan! Der Thread beruhigt mich nämlich immer, wenn ich gerade wieder in Organisationschaos und -panik versinke.
Oxford
Ende September dann wieder
Na da könnten wir uns dann höchstwahrscheinlich schon auf ein Bier treffen.
_________________ In the old country I stripped to buy bread and borscht. And vodka.
Um es Dir ein wenig leichter zu machen: Es handelt sich in etwa um den markierten Bereich, den Makler mittlerweile "Kreuzkölln" nennen (Neukölln geht dann noch viel weiter südlich runter, bis an die Stadtgrenzen)
Kern ist die Ecke rund um Hobrecht-, Fridel- und Reuterstraße mit einer sehr schönen Kunst- und Kneipenszene. Gut bewohnbar ist imho der gesamte "Reuterkiez", also der Bereich zwischen "Kotti" (Kottbusser Damm), Sonnenallee und Landwehrkanal bis etwa zur Wildenbruchstraße. Den sichtbaren Zipfel von treptow würde ich bei der Suche auch nicht außer Acht lassen.
Vom Landwehrkanal (rote Linie im Norden) aus Nördlich ist dann schon Kreuzberg.
edit: Das "A" war nur mein eingegebener Suchbegriff in Google Maps. Da habe ich mal gewohnt
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@Mond
Sorry, wollte nicht deinen Kiez beleidigen. Ich war seit zehn Jahren nicht mehr in Hohenschönhausen und hat's einfach mal abgeschrieben. Aber als ruhig hätte ich's jetzt auch eingeschätzt. Aber eine S-Bahn fährt da, ja?
Lichtenberg ist im kommen - hab ich ja gesagt.
Und dass Berlin ein tolles öffentliches Verkehrsnetz hat, hab ich nicht bestritten - aber dass es seit so ein, zwei Jahren deutlich schlechter geworden ist, wirste ja wohl kaum bestreiten können, oder? Ach nee, das kriegt man in Höhenschönhausen bestimmt nicht so mit.
Beiträge: 4556 Wörter pro Beitrag: 72 Wohnort: Frankfurt a.M.
Verfasst am: 02.08.2011, 23:58
Craggan
Die FU liegt im hier dunkelgrün markierten Zehlendorf, genauer gesagt im sehr noblen Villenviertel Dahlem. Das ist ein sehr bürgerlich gutsituierter Bezirk, da wird immer CDU gewählt, dicke Autos, im Grunewald ist Holzauktion, Badeseen. Reiner Wohnbezirk. In Zehlendorf gibt's nahe der Uni auch Studentenwohnheime, die ganz OK sind. Waldelb hat da z.B. gewohnt. In der Nähe der FU gibt es keine echte Szene. Du musst also als erstes mal die Entscheidung treffen, ob Du einen kurzen Weg zur Uni haben willst und dafür Abends etwas länger unterwegs bist, oder ob Du in der Szene wohnen willst und dafür etwas früher aufstehst. Die Verkehrsmittel in Berlin sind klasse, Du kommst also immer gut von Überall nach Überall hin.
Zehlendorf kommt hier etwas langweilig und spiessig weg. Da ich dort aber 5 Jahre gewohnt habe und eine extrem gute Zeit hatte, mal etwas mehr aus meiner Sicht:
Ich habe dort in einem Uni unabhaengigen Studentenwohnheim, in einer WG gewohnt. Ich bin mit einem 3-Monats-Vertrag eingezogen um mich erstmal in Berlin umsehen zu koennen und dann eine bessere Wohnung finden zu koennen... naja, wie gesagt sind daraus 5 Jahre geworden. Und ich kenne noch einige andere denen es so gegangen ist.
Abgesehen von dem kurzen Weg zur Uni (20-25 Minuten, im Vergleich zu ca. 45 Minuten vom Hermannplatz oder 70-90 Minuten einer beliebigen U-Bahn Stelle in Friedrichshain), lernt man dort auch automatisch eine Menge Leute kennen. Zuerst mal die Mitbewohner, bei denen man natuerlich Glueck oder Unglueck haben kann (ich hatte in meiner Zeit beides). Aber dann gibt es in z.B. dem Wohnheim eine Studenten Kneipe, Fitnessstudio, verschiedene AGs, usw. Da kann man leicht Leute kennen lernen (besonders in der Kneipe, mach 3 Monate Barkeeperin und du kennst fast alle die gerne mal Spass haben). Und alles ist ganz einfach und unkompliziert, da braucht man die grosse Stadt fast gar nicht mehr. Jedes Wochenende (und oft genug unter der Woche) ist ne andere offene WG Party, besonders die Erasmus Studenten machen das gerne, Zettel haengen ueberall im Wohnheim aus. Ich habe meine ersten 2 Jahre praktisch damit verbracht mit der einen oder anderen Freundin von WG-Party zu WG-Party zu tingeln, habe dort unglaublich viele Leute kennen gelernt, mich betrunken, gequatscht, geknutscht und das Studentenleben genossen. Oder mich Abends spontan mit ein paar Leuten, die man von eben sowas kannte, und ner Flasche Wein in den Garten gesetzt, was dann mit 10 anderen Leuten und 15 weiteren Flaschen Wein endete. Ich habe meine besten Berliner Freunde dort gefunden.
Tagsueber kommen dann die Vorzuege Zehlendorfs und Schlachtensees zum Vorschein. Und die sehen so aus:
Sommer
Winter
Und davon gibt es ungefaehr 5 in der direkten Umgebung. Man wohnt einfach in einem schoenen und sehr sehr naturbelassenem Stadtteil. Im Sommer geht man jeden Tag nach der Uni zum See, oder fahert gleich mit dem Fahrrad in ca 30 Minuten an 2 Seen entlang nach Hause, oder geht angetrunken zu einer Runde Mitternachtsbaden. Alles moeglich.
Abends "in die Stadt" weggehen ist natuerlich auch nicht unmoeglich. Dauert halt zwischen ner dreiviertel oder ganzen Stunde, aber da du zu 90% mit anderen Leuten aus dem Studentenwohnheim unterwegs sein bist macht das nichts. Dann sitzt man eben zusammen mit seinen Getraenken in der S-Bahn. Macht man dann halt nicht jeden Tag, sonder eher mal am Wochenende. Und Nachts zurueck zu kommen ist weeeesentlich angenehmer als in irgendwelche Teile Neukoellns. Und dabei meine ich nicht die Junkies oder Obdachlosen. Okay, da bin ich verwoehnt, aber es gab einige Momente als ich (tags und nachts) in der S-Bahn Hermannstrasse oder U-Bahn Neukoelln war und sich lauthals neben mir Typen darueber unterhalten haben, wem sie als naechestes die Fresse einschlagen werden, welche Schlampe sie wie und auf welche Weise genommen haben oder dass sie naechste Woche ihrem Klassenlehrer anpinkeln wollen. Alternativ wurden ich und andere Fahrgaeste beleidigt oder angeschrien was man denn so glotze und ob man ins Krankenhaus moechte. Ich bin da eben etwas empfindlich, aber die Wahrscheinlichkeit das einem sowas passiert ist in Zehlendorf nahe 0 und in anderen Stadtteilen Berlins (Prenzlauer Berg, Friedrichshain, aber auch die meisten Teile Kreuzbergs) auch weeeeesentlich geringer als in Neukoelln.
Es gab Phasen, da hat mich auch das Studentenwohnheim und das aufgeraeumte Zehlendorf genervt. Da bin ich mehr in die Stadt, das funktioniert... Man bekommt das Grossstadt und Berlin Feeling immer noch deutlich mit und lernt auch die einzelnen Kieze und deren typische Bewohner kennen. Dafuer muss man sich aber eben mehr aufraffen, als wenn man sowieso in Mitte wohnt. Andererseits hat man aber auch in Zehlendorf (zumindest in den Studentenwohnheimen) eine sehr nette, auch junge und Party-affine Umgebung. Von den biederen CDU-Waehlern habe ich waehrend meiner Zeit dort ausgesprochen wenig gesehen (abgesehen von ihren Haeusern).
Ja, es gab Phasen da hat es mich genervt so weit von der richtigen Stadt weg zu wohnen. Es gab auch Phasen da hat mich das Wohnheim und seine typischen Bewohner angekotzt. Alles in allem wuerde ich aber wahrscheinlich wieder dorthin gehen, wenn ich nochmal eine junge Studentin waere. Eine alte Mitbewohnerin von mir ist nach 3 Jahren Zehlendorf nach Kreuzberg gezogen und hat es sehr genossen dann dort zu wohnen. Sagte aber auch, dass Zehlendorf "zum Einstieg" gut war.
Andererseits und damit moechte ich schliessen, kommst du bereits aus einer Grossstadt und hast auch in anderen Threads erwaehnt, dass du Landleben nicht magst. Und Zehlendorf, das wirst du spaetestens von deiner Uni merken, ist eben Land in der Grossstadt. Ich liebe es aber.
alles sehr wahr, was Du da schreibst , Waldi *sternchen* Ich habe ja in Zehlendorf meine Gymnasialzeit verbracht und all das sehr genossen, was Du da schreibst. Dann bin ich ausgezogen und eben zum Studieren nach Nord-Neukölln. Das war zum Abfeiern schon angenehm, wenn man dann nicht mehr 45 Min. unterwegs war. Ist auch mehr Berlin, wie man sich das vorstellt. Zehlendorf ist ja doch recht ländlich, so insgesamt.
Allerdings hatte ich das Privileg, vor sehr frühen Vorlesungen (wir hatten Profs, die grundsätzlich um 08:30 begannen) einfach bei meinen Eltern zu pennen.
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